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Natürlich und wunderschön - Hausgeburt

Bericht einer Trotula-Patientin Trotula-Logo

Als ich schwanger wurde, war meinem Mann und mir klar, dass nur ein Ort für die Geburt unseres Babys der richtige war. Zu Hause. Weder Krankenhaus noch ambulante Geburt oder Geburtshaus kamen für uns in Frage.

Warum? Weil wir beide der Meinung sind, dass eine Geburt etwas vollkommen natürliches ist. Etwas, das dazugehört, das nichts mit Krankheit zu tun hat. Woher mein Vertrauen in die Natur, in meinen Körper kommt? Ich kann es nicht sagen. Es ist da, seit ich daran denken kann. Es begleitet mich auf meinem Weg. Ein tiefes Gefühl, das da ist und mir sagt, dass ich die Kraft habe, dass ich meinem Körper vertrauen kann.

Die Vorstellung unserem Baby einen Ort der Geborgenheit für diesen großen Moment in seinem Leben zu bieten war uns so vertraut, als ob wir Ähnliches schon einmal erlebt hätte. Ich wusste, dass ich mich nur zu Hause so wohl fühlen könnte, um mich vollkommen fallen zu lassen und auf meine Gefühle zu achten.

Tage vor dem errechneten Geburtstermin (8. 12. 04) hatte ich Senkwehen. Ich spürte, dass das Baby früher kommen würde. Eine ungeahnte Vorfreude machte sich in mir breit. Meine gesamte Aufmerksamkeit richtete sich auf das Baby in mir. Am Abend des 3. Dezembers, einem Freitag, hatte ich Wehen. Zum ersten Mal, waren sie regelmäßig ... und nach einem warmen Bad verschwunden. Den ganzen nächsten Vormittag rührte sich gar nichts und um mich ein wenig abzulenken nutzte ich die Zeit um die Weihnachtspost zu erledigen. Die Mittagszeit verstrich. Draußen lag dichter Nebel auf der Landschaft, bis zu fünf Zentimeter dicker Raureif bedeckte alles. Ich wollte etwas tun. Eine plötzliche Unruhe erfasste mich. Ich fühlte eine unendliche Kraft in mir und ich wusste, dass ich die, im Haus sitzend, nicht bändigen konnte. Ich musste etwas tun, musste mich bewegen, meinen Körper fühlen, ...

Ohne lange nachzudenken, beschloss ich, nach draußen zu gehen und meinem Mann mit dem Holz zu helfen. Er war gerade dabei den Heizraum aufzufüllen und ließ mich nur ungern helfen. Es brauchte etliches an Überredungskunst, bis ich ihm endlich die leichtesten und kleinsten Holzscheite reichen durfte. Die Kraft in mir, schien sich ins unendliche zu steigern. Ich sog die schneidend kalte Nebelluft in mich auf, als wäre ich am Verhungern. Ich starrte nach oben, in den weißen Himmel und fühlte mich so unendlich verbunden mit der Natur ...

Unser Baby bewegte sich in mir, boxte mit seinen kleinen Füßchen gegen meine Bauchdecke und ich musste lachen. Plötzlich hatte ich das Bedürfnis zu laufen, den Wind in meinem Gesicht zu spüren und die gesamte Welt zu umarmen. Instinktiv wusste ich, dass die Geburt unmittelbar bevorstand. Die letzen Meter zum Haus gab ich meinem Drang nach und lief so schnell ich kann. Es tat gut und bändigte diese unendliche Kraft in mir ein wenig.

Wieder im Haus, stand ich einen Moment lang unschlüssig da und sah gedankenverloren aus dem Fenster. Der Nebel begann sich langsam zu lichten. Vollkommen unerwartet. Nichts hatte darauf hingedeutet. Alles in mir schien geladen, ich sehnte nichts so sehr herbei, wie den Moment der Geburt.

Mit dem Namensbuch in der Hand ließ ich mich in den bequemen Sessel sinken. Noch hatten wir keinen Bubennamen gefunden, der uns gefallen würde. Wenn ich ehrlich bin, dann hofften wir auf Inspiration, in dem Moment, wenn wir unser Baby zum ersten Mal sehen würden. Ich saß nicht lange. Plötzlich spürte ich warme Flüssigkeit zwischen den Beinen. Mein Herz begann schneller zu schlagen.

Voll Freude, ängstlich, ein wenig nervös, gespannt, ...? Was war ich eigentlich?! Wie lange hatte ich über diesen Moment nachgedacht, davon geträumt, mir ausgemalt, wie alles sein würde, ... . Und jetzt. Ich hatte mit Wehen gerechnet, mit langsam stärker werdenden Wehen. Im Grunde hatte ich mit allem gerechnet. Nur eben nicht mit einem Blasensprung.

Vorsichtig — während ich leise, beruhigende Worte zu mir selbst sprach — stand ich auf und ging ins Bad. Was sollte ich tun? Ich war nicht etwa starr vor Schreck. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte.

Nach einer Ewigkeit — so schien es mir zumindest — hörte ich die Tür gehen und meinen Mann rufen. Wie klang er? Fröhlich, unbeschwert ... ahnungslos! All die Fragen die mir plötzlich durch den Kopf schossen. Vor einer viertel Stunde, dachte ich, war ich selbst noch ahnungslos. Da war nur diese Sehnsucht und diese unendliche Kraft in mir. Und jetzt, ... Jetzt war die Kraft verschwunden. Ich fühlte mich nur mehr schutzbedürftig. Ich wollte gehalten werden.


F. kam herein, lächelte mich an und ich sagte ihm, dass soeben gerade meine Blase gesprungen sei. Einen Moment sah er mich verständnislos an, so als ob ich plötzlich eine Fremdsprache sprechen würde, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht und er fragte mich, was wir jetzt tun sollten. Ich rief die Hebamme an. Sie klang ein wenig verwundert, hatte erst in einigen Tagen mit der Geburt gerechnet, fragte mich nach Wehen und sagte mir dann, dass sie in spätestens einer Stunde bei uns sei und wir alles vorbereiten sollten.

Wehen!

An die hatte ich gar nicht gedacht. Ich hatte keine Wehen! Oder doch? Sie waren da, leicht und sanft, kaum spürbar aber gleichmäßig. Eine Welle der Freude durchflutete mich, Wärme und unendliche Liebe. Wieder hatte ich das Bedürfnis die ganze Welt zu umarmen.

Die Zeit schien zu stehen. Der Heizraum war bis zum Rand gefüllt, der Ofen glühte, die Weihnachtspost war erledigt, das Zimmer gerichtet, ... es gab nichts mehr zu tun, außer zu warten, den langsam stärker werdenden Wehen zu lauschen und nach draußen zu starren. Bald ..


F. machte mir Nussbutter. Ich war nicht hungrig. Ein flaues Gefühl in meinem Magen machte sich breit, ... so wie ich es von früher kannte, als ich noch ein kleines Mädchen war und mich auf Weihnachten freute. Dennoch, .. ich aß ein wenig. Wer wusste schon, wie lange die Geburt dauern würde und wann ich das nächste Mal etwas essen konnte.

Abwechselnd schaute ich auf die Uhr und aus dem Fenster auf die Auffahrt. Meine Hände ruhten auf meinem Bauch, spürten wie er sich zusammen zog und wieder entspannte, ... Der Nebel hatte sich weiter gelichtet, ich konnte den Himmel sehen, der langsam graublau wurde. Die Dämmerung würde bald hereinbrechen.

Die Stunde verging und B. — unsere Hebamme — kam. Mein Muttermund war einen Zentimeter geöffnet. Es war kurz vor drei Uhr am Nachmittag und B. schlug vor einen Spaziergang zu machen, um die Wehen „anzukurbeln“.

Das Gehen tut gut. Es lässt die Zeit verstreichen und ist wie ein angenehmer Rhythmus. Ich glaube stundenlang so weitergehen zu können aber die hereinbrechende Dunkelheit lässt uns umkehren. Die Luft ist klar, der Nebel ist nun vollkommen verschwunden und die ersten Sterne zeigen sich am Himmel. B. erzählt uns, das rundherum dichter Nebel hängt ... nur hier war er verschwunden. Zuhause zeigte uns B. wie ich atmen konnte, wenn die Wehen stärker wurden, sie untersuchte mich noch einmal — der Muttermund hatte sich kaum verändert — und fuhr danach wieder nach Hause. Wir sollten sie anrufen, wenn die Wehen stärker wurden und ich das Gefühl hätte es ohne sie nicht mehr zu schaffen.

Ich nahm ein warmes Bad und F. brachte mir frisch gepressten Orangensaft zur Stärkung. Durch das warme Wasser verstärkten sich die Wehen, wodurch ich mich unwohl zu fühlen begann. Die Badewanne kam mir zu klein und unbequem vor. F. half mir aus der Wanne und ich kniete mich auf unser Bett. Draußen war es stockdunkel und sternenklar, tausende und abertausende Sterne funkelten am Himmel. Ich hatte mein Zeitgefühl verloren, wusste nicht wie spät es war und es kam mir so vor, als sei meine ganze Aufmerksamkeit auf das gerichtet, was in mir vorging. Auf unser Baby und meinen Körper.

Eine kleine Salzsteinlampe brannte, das Licht war schummrig und spärlich, leise Entspannungsmusik, irgendetwas mit Walgesängen, Meeresrauschen und Panflöten, lief ... aber ich konnte mich nicht entspannen. Die Wehen wurden stärker und ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.

Eine Unruhe machte sich in mir breit — durch die stärker werdenden Wehen fühlte ich mich aus dem Rhythmus gebracht. Einerseits wollte ich F. bei mir haben, wollte von ihm gehalten werden und andererseits machte mich seine Gegenwart und sein „halten“ während einer Wehe unruhig ... Als es für einen Moment still in mir wurde, schloss ich die Augen, ich merkte wie eine satte Müdigkeit mich überkam und ließ mich nach vorne sinken.

Die Beine gegrätscht, den Oberkörper dazwischen gebettet, die Augen geschlossen, ... ich habe keine Ahnung, wie lange ich so dagelegen bin. Die Ruhe half mir, mich selbst wieder zu finden, diesen „Sturm“ in mir zu beruhigen und mich auf die Kraft zu konzentrieren, die noch immer in mir war. Ich fand meinen Atemrhythmus und plötzlich schien alles leicht zu sein. Die Wehen kamen und gingen und ich kniete einfach auf dem Bett und atmete. Ab und zu fragte ich nach der Uhrzeit oder nach einem Schluck zu trinken. F. blieb ruhig neben mir, strich mir sanft über den Kopf und war einfach da. Ich war dankbar für sein Schweigen.

Um halb zehn, bitte ich F. die Hebamme anzurufen. Plötzlich wollte ich sie hier haben. Ich hatte das Gefühl, das Baby müsse bald kommen. Die halbe Stunde, die verging bis B. eintraf kam mir wie wenige Minuten vor und als sie ins Zimmer trat gelang es mir mich vollends fallen zu lassen. Eine unendliche Ruhe überkam mich und ich wusste, dass alles in Ordnung war.

Ihre mütterliche Gegenwart gab mir Kraft. Mein Muttermund war vier Zentimeter geöffnet, die Wehenpausen relativ kurz. B. stellte den Geburtshocker auf und gemeinsam mit F. half sie mir, mich darauf zu setzen.

Die folgende Stunde verging wie im Flug, zumindest kam es mir so vor, obwohl ich kein Zeitgefühl mehr hatte. Es hätte eine Ewigkeit ebenso sein können, wie wenige Sekunden. B. saß vor mir, F. hinter mir, hielt mich in den Armen, wenn ich es brauchte, verließ ab und zu den Raum um das Feuer instand zu halten und strich mir, während den Wehenpausen — die kaum zwei Minuten dauerten — über den Rücken.


B. untersuchte mich immer wieder. Um 23:15 war mein Muttermund 8 cm geöffnet, nach etlichen  starken Wehen und endlos langen 15 Minuten — so kam es mir vor — stand er 10 cm offen. B. half mir aufs Bett, legte mich auf die Seite und sagte mir, das sei notwendig, damit sich der Kopf des Babys noch ein wenig drehte.

Zwei lange Wehen lag ich dort und verfluchte alles. Plötzlich, hier im Liegen, taten die Wehen verdammt weh. Plötzlich verstand ich die Frauen, die meinten, noch nie so etwas schmerzhaftes erlebt zu haben und fragte mich, wer diese Idee gehabt hatte, dass Frauen während der Geburt liegen müssten.

Als ich wieder auf kann, muss ich aufs Klo, wo mich die erste Presswehe überrascht. Ein unwiderstehlicher Drang zu pressen überkommt mich, doch, und das überrascht mich noch mehr, sie tut kaum weh. Ich bin aufrecht und ebenso schnell wie die Wehe gekommen ist, geht sie vorüber — so scheint es mir zumindest.

Wieder im Zimmer geht alles schnell. Mitternacht vergeht und B. sagt mir, dass es nicht mehr lange dauern wird. Bis 0:20 habe ich beinahe ständig Presswehen, meine Beine zittern und einen unendliche Müdigkeit überkommt mich. Eine Moment lang sehne ich mich danach, im Bett zu liegen und zu schlafen, doch lange bleibt mir für solche Gedanken keine Zeit.

Die nächste Presswehe kommt — ich vergleiche sie mit einer Welle, die immer wieder meine Körper durchflutet. Der Saum am Muttermund steht noch und B. „schiebt“ ihn während zwei weiteren Wehen zurück, was äußerst schmerzhaft, aber leichter zu ertragen, als die Wehen im Liegen ist. B. fordert mich auf, den Kopf zu ertasten. Die Presswehen kommen jetzt andauernd, beinahe ohne Pause und ich habe das Gefühl, als ob alles reißen würde. Dann spüre ich das Durchtreten des Kopfes und plötzlich scheint alles ganz leicht.

Mit einer weiteren Presswehe gleitet unser Baby um 0:29, am 5.12 04 aus mir heraus — winzig klein und ein wenig rot, mit schwarzen Haaren und eine riesige Flutwelle aus Glück und Liebe durchflutet meinen Körper.* Ich spüre F. hinter mir, der lacht und weint und merke erst in dem Augenblick, als mir B. unser Baby in den Arm legt, das ich ebenfalls weine. Wir alle weinen. F, ich und unser Baby schreit aus Leibeskräften. ... und ich denke, dass ich das noch „tausende“ von Malen erleben möchte.

Erst, als die Nachgeburt aus mir heraus „rutscht“- ohne eine weitere Wehe — merke ich das wunde, brennende Gefühl an meiner Scheide. Ich frage B. ob ich „gerissen“ sei und sie sieht mich verwundert an, lächelt und sagt mir, dass alles in Ordnung ist. Nach wenigen Minuten hat die nur sehr kurze Nabelschnur ausgeblutet. B. trennt sie durch und mir fällt auf, dass wir noch nicht einmal nach dem Geschlecht gefragt haben. Vorsichtig schiebe ich die Beinchen auseinander .... es ist ein Mädchen.

Langsam geht das Geschrei in ein leises Wimmern über. B. hilft mir aufs Bett, legt mir unsere Tochter auf den Bauch. Noch hat sie keine Lust zu trinken. Mit geschlossenen Augen, leise wimmernd, liegt sie winzig klein in meinen Armen. Sie ist zart und klein, kleiner als die Babys aus meiner Familie, die ich kenne.

Später, als ich geduscht und angezogen bin und unsere Kleine ein wenig gereinigt ist, liegt sie in meine Armen und nuckelt ein wenig an meiner Brust. Ich bin überglücklich. Meine Müdigkeit, die ich am Ende der Geburt verspürt habe ich verschwunden. Die sternenklare Nacht geht ihrem Ende zu und als wir alle im Bett liegen und B. nach Hause gefahren ist, falle ich in einen ruhigen, tiefen Schlaf.

Natürlich und wunderschön - HausgeburtF. hat die ganze Nacht durchgeheizt und als er in der Dämmerung ins Zimmer kommt und ich unser Baby zum ersten Mal so richtig stille, schlüpft er zu uns sagt er mir, dass eine kleine rosa Rose im Garten erblüht ist.

Eine kleine Rose, erblüht in einer sternenklaren Winternacht ... wie unsere Tochter — ich muss lächeln und wieder ist da dieses unendliche Gefühl der Wärme und Liebe in mir. *

Eure L.